Hintergrundbild mit bunten Streifen

Auf die Haltung kommt es an! Vielfalt als Stärke

Fachtagung im bbw Südhessen am 19.11.2015

Wie schaffen wir eine Arbeitswelt, in der jede und jeder seine Stärken zur Geltung bringen kann: der Flüchtling aus Afrika ebenso wie die junge Frau mit Autismus oder der Jugendliche im Rollstuhl? Welche Chancen stecken überhaupt in dieser Vielfalt? Und welche Fallstricke gibt es? Über Fragen wie diese diskutierten auf der Fachtagung im bbw Südhessen rund 150 Teilnehmerinnen und Teilnehmer von Unternehmen und Verbänden, Arbeitsagenturen und Job-Centern, Berufsbildungswerken und Berufsschulen. Auch interessierten Jugendlichen stand die Tagung offen, die mit einer Mischung aus Theorie und Praxis, Fachthemen und Kulturprogramm alle Gäste gleichermaßen ansprechen wollte.

Dr. Thomas Ebers und Mercedes Pascual IglesiasDen ganzen Tag über stand die Ausstellung des Mundmalers Thomas Kahlau offen, ebenso der von Jugendlichen aus dem bbw aufgebaute Diversity Parcours. Hier konnten die Besucherinnen und Besucher sich auf die Suche nach Vorurteilen und Vorbildern für Vielfalt machen.

Am Vormittag führten Vorträge in die Grundbegriffe des Themas ein: Inklusion, Diversity, Empowerment. So machte Dr. Thomas Ebers, Professor für Angewandte Philosophie an der Uni Bonn, in seinem Vortrag „Inklusion als Ethos“ deutlich, dass eine positive Haltung eine wesentliche Bedingung für Inklusion ist: „Es reicht eben nicht aus, wenn nur die finanziellen und strukturellen Rahmenbedingungen stimmen, wenn also zum Beispiel ein Arbeitsplatz rollstuhlgerecht ausgestattet ist.“ Selbstverständlich sei es aber wichtig, diesen „Rahmen“ zu verändern – sonst würden sich viele Menschen auf die resignative oder schlicht bequeme Position zurückziehen, „dass es auf ihre Haltung ja ohnehin nicht ankäme“.
Ein Gefühl der Verbundenheit zwischen den Menschen wiederum hängt nicht davon ab, dass sie möglichst viel gemeinsam haben, darauf machte die Diversity-Trainerin Judy Gummich aufmerksam. Gerade Unterschiede könnten verbinden – vorausgesetzt, wir respektieren diese Unterschiede und wertschätzen sie. Hier setzt Empowerment an: Es zielt darauf, Selbstvertrauen zu entwickeln, um ein eigenverantwortliches Leben führen zu können.

PodiumsdiskussionWie man „stark werden“ kann, war auch Thema der Podiumsdiskussion mit Thomas Kahlau, der früheren bbw-Auszubildenden Jasmin Ziemann und Karine Babayants, die als Jugendliche aus Usbekistan eingewandert ist, heute Jura studiert und junge Migranten unterstützt. Alle drei machten klar, wie wichtig für sie im Leben andere Menschen waren, die an sie geglaubt und sie unterstützt haben.
Junge Menschen auf ihrem Weg in eine eigene Zukunft zu unterstützen – das ist der Auftrag und die Leistung der Berufsbildungswerke. Der Umgang mit Vielfalt ist für sie seit Jahren ein Thema, und mit der Ankunft von tausenden, darunter vielen jungen, Flüchtlingen ist es im ganzen Land hochaktuell. Denn es geht darum, den Jugendlichen ebenso wie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Unternehmen und Verbänden, Arbeitsagenturen und Job-Centern, Berufsbildungswerken und Berufsschulen zu vermitteln, dass Anders-Sein nicht etwa ein Problem ist – und ihnen die nötigen Kompetenzen zu vermitteln, Vielfalt zu leben bzw. vorzuleben.

Die Tagung machte einen Anfang: Am Nachmittag übten Teilnehmerinnen und Teilnehmer in zehn verschiedenen Workshops ganz praktisch den Umgang mit Vielfalt: in der Beratung, am Arbeitsplatz, in Wohngruppen. Ein Workshop widmete sich speziell sexuellen Orientierungen: Weil es gerade im bbw wichtig ist, für ein sensibles und tolerantes Klima zu sorgen, in dem sich alle Jugendliche aufgehoben fühlen.
Im „Anti-Bias-Training“ konnten Tagungsgäste per Rollenspiel die eigenen Vorurteile überprüfen – und staunen, wie leicht wir Menschen auf ein Merkmal reduzieren. Zum Beispiel „der Flüchtling“, der einst vielleicht ein angesehener Mittelständler war, oder „die Türkin“, die womöglich einen christlichen Glauben hat.
Die jugendlichen Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren stark im Hip-Hop-Workshop vertreten: Hier machten sie sich daran, ihre eigenen Gefühle in Reimen auszudrücken. Auch im Workshop „Mehlstaub und Backofenduft“ ging es lebhaft zu: Beim gemeinsamen Kochen kamen alle Beteiligten leicht ins Gespräch und konnten ihre ersten Eindrücke von den anderen erweitern – und zuweilen korrigieren.
In einer Runde mit Unternehmern wurde deutlich, warum Diversity in der Mitarbeiterschaft für diese so wichtig ist. Zum Beispiel für den Frankfurter Verband, der 1500 Menschen beschäftigt und der größte Träger sozialer Einrichtungen in der Stadt ist. Zum einen braucht der Verband Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit interkultureller Kompetenz, weil viele seiner Kundinnen und Kunden (das heißt: alte und/oder kranke Menschen) nicht-deutscher Herkunft sind. Zum anderen musste sich der Verband, um seinen Bedarf an Personalbedarf zu decken, auch für Menschen öffnen, die noch nicht alle erforderlichen Kenntnisse mitbringen. Die Qualifikation geschieht dann „on the job“. „Wir wollten diese Vielfalt, und vermitteln sie auch in unserer Mitarbeiterschaft als Wert“, sagt Frédéric Lauscher, Geschäftsführer des Frankfurter Verbands.

Renee Eve Seehof„Vielfalt ist zwar alltägliche Realität. Doch sie wird nicht automatisch als Vorteil erlebt und wertgeschätzt“, sagt Renée Eve Seehof, Geschäftsführerin des bbw Südhessen. Das ließen auch die Auftritte erahnen, mit denen frühere und gegenwärtige bbw-Teilnehmerinnen und –Teilnehmer die Fachtagung bereichert haben: Die persönlichen Gedichte beim Poetry Slam ebenso wie die Musik-Beiträge erzählten von Ausgrenzung und Geringschätzung – aber auch von schönen Momenten und Erfolgserlebnissen.
Die hatten auf der Fachtagung auch die bbw-Auszubildenden aus dem kaufmännischen Bereich, die Köche und Floristen und alle anderen vor und hinter den Kulissen: Sie haben durch die selbstverantwortliche Organisation und ihre kulturellen Beiträge zum Programm gezeigt, was sie können. Einzeln und im Team. Auch deswegen wird die Fachtagung „Vielfalt als Stärke“ wohl allen Beteiligten in Erinnerung bleiben.

Impressionen

Fachtagung DiversityJudy GummichWorkshop